Wie kann man einen Tier 1/Tier2/Tier3 Lieferanten der Automobilindustrie am schnellsten und effektivsten (un)entwickeln?
Eine kurze Anleitung aus der Sicht eines Ex-Lieferanten(un)entwicklers bei einem sehr prominenten europäischen OEM.
Allgemeine Maßnahmen:
1. Mit der Zahlung an den Lieferanten immer im Rückstand sein und zwar bis zu 80% seines Umsatzes und einem Zahlungsziel bis zu 9 Monaten.
Faustregel: Je kleiner der Lieferant, desto größer ist der Rückstand einzuhalten – bis zu 100% des Umsatzes. Dann, wenn der Rückstand 100% vom Umsatz überschreitet, bekommt der Lieferant ein Schreiben, in dem steht, dass aufgrund der unstabilen finanziellen Lage der Lieferant bei der nächsten Auftragsvergabe nicht mehr berücksichtigt wird.
2. Dem Lieferanten möglichst häufig ein Team von Lieferanten(un)entwicklern schicken, zwecks „support bei der Lösung der Lieferprobleme“, was nichts anderes als getarnte Strafaktion ist.
Die Umgangsformen und der Umgangston der Lieferanten(un)entwickler muss denen von Aufsehern in einem Straflager ähneln. Als eine angemessene Anzahl der Strafkolonne hat sich die Zahl 3 vielmals bewährt. Aber hier gibt es auch eine Faustregel: Je kleiner der Lieferant ist, desto größer ist die Strafkolonne; es darf aber niemals eine Anzahl von 13 überschritten werden – dies bringt Unglück!
Aufgaben der Gruppe der Lieferanten(un)entwickler:
I. Nach dem Hubschrauber-Prinzip viel Chaos verursachen durch
widersprüchliche und sinnlose Anweisungen und solange, bis die einzelnen Mitarbeiter des Lieferanten nicht mehr wissen wo links und wo rechts ist – dann ist das für die fleißigen Vertreter des OEM ein Signal, dass sie mit ihren Aktionen den richtigen Kurs eingeschlagen haben.
II. Alles kritisieren, was das Zeug hält: Aufbau der Prozesse, Schnittstellen, organisatorische Struktur, Kennzahlen etc.
III. Bestrafen mit allen erdenkbaren Strafmaßnahmen auch dann, wenn es keinen direkten Grund dafür gibt; der Lieferant wird schon wissen, wofür er bestraft wird!
Eine der effektivsten Maßnahmen, die sich sehr gut und mehr als 1000-fach bewährt hat, ist der Einsatz von einem Resident-Engineer mit einem Tageshonorar von >1000€ + Reisekosten für mindestens 3 Monate und, falls die Fertigungsstätte des Lieferanten im Ausland steht, dann kommen dazu noch wöchentliche Flüge nach Deutschland und zurück: Montag Hinflug und Freitag Rückflug mit Business Class mit Luftahnsa – Miles&More selbstverständlich.
Absolut überflüssig wäre eine Bemerkung, dass dieses Verfahren sich einer besonderen Beliebtheit bei den Lieferanten im
In- sowie im Ausland erfreut.
IV. Mindestens alle 2 Wochen einen Prozess-Auditor zum Strafprozessaudit schicken, wobei der Fortschritt und abgeschlossene Verbesserungsmaßnahmen absolut irrelevant sind.
V. Jede 2. Lieferung unter irgendeinem Vorwand zurückschicken (je öfter, desto effektiver ist die Maßnahme – es ist eine Strafrücklieferung anyway!)
Ergänzende Maßnahmen zu jedem Strafbesuch:
Bei jedem Strafbesuch bei dem Lieferanten viel Wert legen auf:
a) Unterkunft (Anzahl der Sterne darf unter keinen Umständen 5 unterschreiten) auch wenn das Lieferanten – Werk in der Mitte der russischen Steppe steht.
b) Niveau der Verpflegung (Business-Lunch im Konferenzraum wird
definitiv abgelehnt). In Frage käme nur ein im Michelin – Katalog
aufgelistetes Restaurant – auch wenn das Lieferantenwerk in der Mitte der mongolischen Wüste steht.
Sehr ratsam ist noch vorm Mittagsessen zu erfahren, wie weit die Entfernung zu dem Lunch-Restaurant ist – man will doch etwas vom fremden Land sehen!! Faustregel – je weiter, desto besser und desto
weniger Zeit müssen wir im Werk bei der Arbeit verbringen.
Falls wir mit dem Restaurant zufrieden sind, äußern wir unseren Wunsch einfach und unverkrampft, dass das Dinner kann auch in diesem Restaurant bestellt werden kann. Soll der blöde Lieferant auch wissen, dass wir das Gute auch im Ausland (was äußerst selten der Fall ist) zu schätzen wissen.
c) Jahrgang der Weine: 5 Jahre als untere Grenze festlegen.
d) Geschenke: Faustregel Russland und Ukraine mind. 1kg Kaviar pro Kopf des Strafauditors; in anderen eroberten Ländern: Polen
und Tschechische Republik eine überflüssige und endlos hässliche
Kristallvase, dazu eine 0,75l Flasche von Chopin Vodka in Polen und
das gleiche Volumen von Becherovka für Tschechische Republik.
Generelle Verhaltensregeln (Verhaltenskodex der Strafauditoren – Grundzüge).
1. Am Konferenztisch und überall immer rechthaberisch auftreten und im Kommandoton die Anweisungen erteilen nach dem Motto:
„er hat echt solche Behandlung verdient, er ist ja nicht ohne Grund
Lieferant geworden“. Außerdem ist jeder Lieferant im Ausland ein
Dieb und Lügner („sie wollen bloß nichts anderes als unser Geld“; „bei uns wäre er entweder ein Asylbewerber oder im besten Fall ein Harz IV Empfänger.“).
2. Immer jedem Gesprächspartner aus dem Hause des Lieferanten direkt oder indirekt zeigen, wie dumm und geistig unterentwickelt er ist.
3. Niemals freundlich im Umgang mit den Lieferanten sein. Er muss wissen, wer hier der richtige Entscheidungsträger ist und woher er kommt.
4. Durch zackige Körperbewegungen und ähnliche Sprachweise immer ein menschenüberlegendes Image vermitteln, nach dem Motto: „wir sind doch wer und um uns dreht sich die Welt“.
Erste Ergebnisse solcher Lieferantenentwicklung tragen erst in einem Jahr Früchte. Und wenn der betroffene Lieferant durch Insolvenz von der Bildfläche verschwindet – dann ist das eine Bestätigung dafür, dass der Lieferant unserer Bemühungen nicht würdig war. Niemand kann dem eigenen Schicksal entkommen.
Pech gehabt.
Bei der täglichen Arbeit des Lieferanten(unter)entwicklers sehr hilfreich sind die
5 Gebote der Lieferantenentwicklung:
1. Jeder Lieferant ist nur auf unser Geld ausgerichtet
2. Jeder Lieferant ist ein Gauner und Betrüger
3. Jeder Lieferant hat keine Ahnung von nichts.
4. Jeder Lieferant muss auf sehr kurzer Leine geführt werden.
5. Jeder Lieferant muss jederzeit wissen wer an dem längeren Hebel sitzt.
Merke: unter bestimmten Voraussetzungen kann der Lieferanten(un)entwickler die Bezeichnung „Strafauditor“ tragen.
Von der Praxis für die Praxis
Nützliche Hinweise für den Projektleiter von Projekten im Ausland
Zuverlässigkeits-Multiplikatorentabelle für ausländische Projekte (ZMTAP)
Ziel der ZMTAP Tabelle: Realistische Ermittlung der Termin(nicht)einhaltung z.B. Lieferzeit u.ä. termingebundener Ereignisse, um die Enttäuschungen, Frust, Magenkrämpfe und Magenüberazidität des Projektleiters zu minimieren.
Beispiel:
Im Russland wurde uns die Lieferung des Baumaterials in 2 Tagen versprochen d.h. die Lieferung kommt erst in 2×4,3 (Multiplikator aus der ZMTAP Tabelle) = 8,6 Tagen (abgerundet: 9 Tagen wenn´s gut geht, was sehr selten passiert.)
ZMTAP Multiplikatoren
ACHTUNG 1: Referenzwert für Deutschland = 1 (ich glaube allerdings langsam, dass es schon endgültig der Geschichte angehört)
ACHTUNG 2: unten stehende ZMTAP Tabelle ist äußerst vertraulich zu behandeln. Weitergabe an Dritte ist strengstens verboten!
ACHTUNG 3: unten stehende ZMTAP Tabelle stellt keineswegs einen Anspruch auf alphabetische Ordnung.
Mexiko 6,8
Südafrika 4.7
Bulgarien 2,8
Russland 4,3
Ukraine 4,9
Griechenland 4,2
Italien 5,0
Spanien 4,8
Portugal 4,4
Namibia 2,2 w/g Deutschen 1884-1915
Nigeria 7,8 oder ∞
Ägypten 4,8
Türkei 3,7
Zypern 5,1
Malta 4,9
Irland 2,5
UK 2,7
Frankreich 3,0
Schweden 2,3
Norwegen 2,4
Finnland 2,8
Polen 3,6
Tschechei 3,2
Österreich 1,5
Schweiz 1,3
USA 1,5
Brasilien 6,2
Slowakei 3,9
Slowenien 3,1
Das Gleiche ist anwendbar für:
- Terminangabe „5 Minuten“ – obwohl ich mit Bedauern schon merken muss, dass sogar in Deutschland 5 Minuten im Vergleich zu 1950 deutlich länger dauern und die letzte Meldung vom 18. Januar 2015 beweist uns, dass die 5 Minuten nach der Funkuhr!!! glatte 60 Minuten dauerte und zwar in Oberjosbach (Hessen). Dagegen kann man aber nichts machen.
- „15 Minuten“ – akademische Standardverspätung, die sehr gerne auf die Wirtschaft übertragen wird. (D) – bis 2 Stunden (Meldung aus Bayern)
- Entfernungsangaben: ah, es ist gerade „um die Ecke“ (bis 73km) und „vor der Tür“ (162km) (D) – beide Meldungen aus Rheinland-Pfalz
Marek Emil Dziwetzki, Wiesbaden, April 2016
Anmerkung des Auditors:
Jede Ähnlichkeit mit einem deutschen OEM ist rein zufällig – in dieser Abhandlung wurde ein europäischer OEM kritisch geschildert.
Und Ihre Meinung dazu verehrte Leser?
med
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Bericht von der Front - Hinter den Kulissen der Automobilbranche 